Das Landlibell

Mit Einvernehmen mit den Tiroler Landständen entstand am 23. Juni 1511 das Tiroler Landlibell. Zu dieser Zeit gab es große Landsknechtheere die von dem Land lebten, wo sie sich gerade befanden und dabei das eroberte Gebiet sehr stark in Mitleidenschaft brachten durch Plünderungen, Brandschatzungen und Vergewaltigungen der Bewohner. Tirol als Zentrum der Waffenschmiede und Ausgangspunkt für viele Feldzüge Kaiser Maximilians I war sich der Gefahren für einen feindlichen Einfall bewusst. Auch dass dieser Schutz für das Land durch seine schmalen Einfallstore, Pässe und Klausen nicht durch bezahlte Landsknechte erfolgen konnte, weil diese nur solange ihren Dienst versahen als der Sold reichte. So gab es schon um 1282 zurzeit Meinhard II eine Urkunde (consuetudo terre) wo bestimmte Rechte und Pflichten für das Landvolk (die nach Tiroler Landrecht lebende Gerichtsgemeinde der Grundherren) ausgehen.

Am 28.Januar 1342 ließ sich das Land vom neuen Landesfürsten, dem Wittelsbacher Ludwig, dem zweiten Gemahl von Margarethe Maultasch, eine Enkelin von Meinhard den II wiederrum seine Rechte und Freiheiten bestätigen. Die als tirolische Magna Charta vom Kaiser bestätigt als großer Freiheitsbrief in die Landesgeschichte eingegangen ist. Nach dem Übergang Tirols an die Habsburger 1363 traten die Stände bis 1404 kaum mehr in Erscheinung. Danach erst wandten sich Prälaten, Äbte, Dienstleute, Ritter, Knechte, Städte und gemeinlich alle Landsleute der Grafschaft Tirols an Herzog Leopold IV von Tirol heran, um gemeinsam eine Landesordnung zu schaffen. Im Gegensatz zu den östlichen Ländern der Habsburger nahmen in Tirol auch Vertreter des Bauernstandes an den Landtagen teil, das wiederrum Meinhard II geschaffen hatte, um den Hochadel in seinen Rechten zu beschneiden. So entstand aus der Vorgeschichte das Tiroler Landlibell, das nicht nur das Tiroler Wehr- und Zuzugsrecht, sondern auch das Steuerrecht und sonstige Rechte des allgemeinen Lebens geregelt hatte und bis zur Aufhebung der landständischen Verfassung 1808 bestehen blieb.

Das Landlibell diente vor allem zur Verteidigung des alpinen Tiroler Raumes und die Tiroler durften deshalb Waffen frei tragen und sich sportlich auf den Schießständen betätigen um das Beste oder Schlecker (Preise) herauszuschießen, gestiftet durch den Kaiser oder Landesfürsten. Ein weiteres Recht war, dass die Tiroler nicht gezwungen werden konnten außerhalb der Grenzen Tirols, außer bei der Verfolgung des Feindes für den Kaiser zu kämpfen. Am 3. Juni 1814 wurde Tirol wieder mit dem Hause Habsburg-Österreich vereinigt. Allerdings verliert der Landtag das Steuerrecht, und die Konskription für das Tiroler Jägerregiment durchbricht erneut die alte Wehrfreiheit, weil dieses Regiment auch außerhalb Tirols eingesetzt werden konnte und wurde (hatte ganz fatale Folgen im ersten Weltkrieg).

Laut Entschließung vom 5. April 1839 sollte das Tiroler Schießstandwesen „aller militärischen Organisation und allem Zwang fremd bleiben und als ein volkstümliches Institut einfach die Elemente der Landesverteidigung vorbereiten“. Im Gefolge des 1. Kaiserschießens war die Herausgabe der Tiroler Schützenzeitung deren erste Nummer am 2. Juli 1846 in Innsbruck erschien. Bei der zweiten Ausgabe wurde die neue Schießstandordnung vom 8. November 1845 abgedruckt.

1848 waren dann bereits einheitliche graue Lodenröcke üblich, die um 1890 von den heute noch getragenen braunen Schützenröcken der Schützengilden abgelöst wurden. Am 4. Juli 1864 wurde eine neue Landesverteidigungsordnung für Tirol und Vorarlberg verkündet. Dieses Gesetz betonte die allgemeine Wehrpflicht aller, vier Jahre bevor sie im übrigen Österreich eingeführt worden ist und bestätigte das alte Privileg des Landlibells (Einsatz nur innerhalb der Tiroler – Vorarlberger Grenzen). Es gliederte sich im Ersten Aufgebot organisierte Landesschützenkompanien mit 6200 Mann, beim zweiten Aufgebot freiwillige Scharfschützenkompanien (Standschützen) und beim dritten Aufgebot der Landsturm (nur in Heimat- und Nachbarbezirken dienstverpflichtet). Das Aufgebot konnte nur vom Kaiser, oder der Landesverteidigungsoberbehörde ausgesprochen werden. Als 1871 die bisherige Tiroler Landesverteidigung durch die zweijährige allgemeine Dienstpflicht abgelöst wurde, teilte sich das alte für den Krieg nicht mehr aufgerufene Schützenwesen. Die Schießstandschützen bestanden als Gilden weiter, mit der Verpflichtung im Kriegsfall zum Landsturm einzurücken, soweit ihre jüngeren Mitglieder nicht als Reservisten zu den aktiven Regimentern (den Kaiserjägerregimentern) oder zur Landwehr (den drei Landesschützenregimentern) einberufen wurden. Die Landesschützen waren jetzt keine nur in Kriegszeiten aufgebotene Verteidigungstruppe, sondern ein Teil der Österreichischen Armee zweiter Linie, der k.k. Landwehr, also stehendes Heer. Der Einsatz konnte auch außerhalb Tirols erfolgen. Die Uniform der Landesschützen bestand von 1871 bis 1889 aus einem braunen Rock mit grünen Aufschlägen (Schützenrock) und blau grüner langer Hose mit grünem Vorstoß.

Als einzige echt tirolerische Verteidigungstruppe blieben nur die freiwilligen Standschützen der Schießstände übrig und erhielten eine neue Schießstandordnung. Die Standschützen überlebten als einzige von der alten Tiroler Landesverteidigung die Heeresreform des 19. Jahrhundert. Sie nannten sich jetzt „einrollierte freiwillige Scharfschützen der Schießstände“. Die Schießstandordnung von 1874 bestimmte ausdrücklich, dass die Standschützen keine militärische Organisation, sondern eine bürgerliche Institution seien, welche die Elemente der Landesverteidigung vorbereiten und ausbilden und im Besonderen dem Landsturm als Stütze dienen sollte. Sie wählten ihre Offiziere noch selbst, wie es die Landesverteidigungsordnung von 1859 vorgab. Die Mitgliedschaft war freiwillig, legte aber jedem Mitglied die Pflicht der Erfüllung bestimmter Übungen auf. Dafür waren die Standschützen von den Waffenübungen der Landwehr befreit. In Tirol gab es 1875 16.200 und 1913 65.000 Standschützen. Daneben entstanden Paradeschützen „ freiwillige Organisationen meist gedienter Soldaten, die zu den kirchlichen und weltlichen Festen in Tracht ausrückten. Gelegentlich waren Gilden und Paradeschützen identisch. Jedenfalls führten beide Organisationen oft in einem gewissen Wettstreit die Tradition der alten Landesverteidigung fort.

Die Grundlagen dieses Landlibells, die Waffenfreiheit aller Tiroler, konnte der Kaiser nur in einem Land wagen, das keine Leibeigenen kannte, wo vom Ritter bis zum Bauernknecht jeder ein freier Mann war. Der General Marie-Emile Bethouard, Oberkommandierender der französischen Zone in Tirol hatte einmal gesagt: “Die Tiroler werden nur gefährlich, wenn man ihnen die Waffen wegnimmt“, und er lag damit vollkommen richtig und erlaubte schon 1948 die Gründung des Tiroler Sportschützenverbandes. Dieser nahm am 10. September 1950 wieder den alten Namen Tiroler Landesschützenbund an. Der gemeinnützige Zweck des Bundes ist „die Pflege des im Land Tirol seit mehr als einem halben Jahrtausend betriebenen Schießsports und Abhaltung von geselligen Veranstaltungen unter besonderer Betonung der Kameradschaft“.